» Do 17. Jul 2014, 06:44
Die Frage nach dem didaktischen Konzept ist berechtigt und in der Folge kommt selbstverständlich auch das Thema Skript zur Sprache.
Ich vergleiche meine eigenen Studienerfahrungen (Rechtswissenschaft konnte man bisher nur an einer Uni studieren und dort sitzen in einem Semester durchschnittlich 600 Studierende in den Bänken), mit den Studienerfahrungen meiner Kinder (es hat sich an den Unis nichts geändert), meinen Erfahrungen als Professor an einer Fachhochschule (hier sind es zwar nur 120 Studierende in einem Semester, die Studienbedingungen sind aber sehr ähnlich) und den Kenntnissen über die Studienangebote im Fernstudienbereich (früher als Dozent bei der Wings im klassischen Fernstudium mit Präsenzkursen und als Betrachter der Fernstudiengänge an anderen Hochschulen). Neben inzwischen 16 Jahren Tätigkeit als Professor habe ich auch 5 Jahre hauptberuflich als Assistent an einem Lehrstuhl gearbeitet und meine eigene Studiendauer bis zum ersten Examen betrug auch 5 Jahre (10 Semester, das war früher im Gegensatz zu heute sogar noch schnell). Seit 12 Jahren bin ich auch im Fernstudienbereich tätig und seit 6 Jahren sind meine Online-Studiengänge im Angebot.
Ich habe mich immer gefragt, warum Lehre so ausgestaltet sein muss, wie ich es in dieser langen Zeit vorgefunden habe. Das hat mich zu einem Konzept motiviert, welches möglichst das Beste aus allen Bereichen zusammenführen soll. Es ist auf Fernstudierende ausgerichtet, die Flexibilität benötigen, um erfolgreich sein zu können. Von diesem Bezugspunkt aus soll aber alles andere so ausgerichtet sein, wie es für eine akademische Ausbildung erforderlich ist.
Der Nachteil bei den Uni-Studienangeboten besteht darin, völlig allein gelassen zu werden mit der Bewältigung der Anforderungen. Eigentlich ist ein Uni-Studium - jedenfalls in den meisten Studiengängen - ein Fernstudium, obwohl es ja Vorlesungen als Präsenzveranstaltung gibt. In Hinblick auuf Prüfungen sind Vorlesungen an Präsenzhochschulen jedoch eher eine Möglichkeit der sozialen Kontaktpflege denn ein Instrument der Prüfungsvorbereitung. Das halte ich für falsch. Vorlesungen können sehr sinnvoll sein, nur müssen sie in kürzeren Einheiten als 90 Minuten getaktet werden und vor allem müssen sie (auch punktuell) wiederholbar sein. Das können wir mit den Online-Angeboten leisten.
Ansonsten gibt es an Universitäten zur Stoffvermittlung nur Lehrbücher und – wenn man Glück hat – Übungsveranstaltung mit zufällig didaktisch begabten Assistenten, die die Übungen durchführen. Persönliche Betreuung gibt es nicht. Mehr oder weniger ist die Situation an Fachhochschulen inzwischen kaum anders. Sie haben sich in den letzten 20 Jahren in kleine Universitäten verwandelt und Abstand zu „Schulen“ gewonnen. Interessanterweise sind es scheinbar gerade Mängel im Aubildungskonzept an Universitäten, die einen Filter für echte Lernleistung bilden:
Nur diejenigen, denen es gelingt, für sich selbst einen Weg zu finden, trotz dieser Umstände (teilweise schlechte Vorlesungen / wenig Übungsangebote / Beschränkung auf Lehrbücher) die Prüfungen zu bewältigen, weisen eine Kompetenz auf, die ich mit Problemlösungskompetenz beschreiben würde. Diese Anforderung gibt es im schulischen Bereich nicht. Dort ist die Präsenz der Lehrkräfte ständig gegeben und so dominierend, dass eigener Freiraum höchstens ansatzweise verbleibt. In der Schule sind daher meist diejenigen erfolgreich, die tun, was andere – nämlich die Lehrer – ihnen sagen. Im Studium sind diejenigen erfolgreich, die in der Lage sind, sich selbst zu sagen, was zu tun ist. Das ist der Unterschied zwischen belehrt werden und studieren. Lösungen für andere müssen nämlich nicht zwangsläufig für die eigene Lebenssituation und den eigenen Lerntyp passen. Wer diese Entscheidungen selbst trifft und umsetzen kann, der studiert. Wer belehrt wird, geht in eine Schule.
Im Fernstudium müsste eigentlich eine Orientierung hin zu den üblichen Hochschulen erfolgen. Tatsächlich hat sich jedoch mit dem Versenden von Studienunterlagen ein Lehrtypus herausgebildet, der eher mit einem schulischen Angebot zu vergleichen ist: Es werden Skripte herausgegeben, die auswendig zu lernen sind, weil in den Prüfungen abgefragt wird, was darin steht. Dabei bilden sich Absurditäten heraus, dass in Prüfungen der Inhalt von Fußnoten aus den Studienunterlagen abgefragt werden, um ein hohes Level des Studienangebotes zu dokumentieren nach dem Motto: Was schwer ist, muss gut sein. Wie schwer eine Prüfung ist, zeigt sich an den Durchfallquoten. Also zeigt eine hohe Durchfallquote die Qualität des Studienangebotes. Ich kenne leider viele Kollegen, die geradezu stolz darauf sind, dass viele Prüflinge durchfallen. Ich sehe darin eher ein Versagen im Lehrangebot. Deshalb ist mein Konzept völlig anders:
Wollen wir das Fernstudium an den Anforderungen ausrichten, die an Universitäten am stärksten hervortreten, dann müssen wir von den Studierenden verlangen SELBST aktiv zu werden. Der Wunsch nach Skripten belegt aber eher die Erwartung, gefüttert zu werden.
Nach meiner Vorstellung besteht die Lösung darin, Angebote vorzuhalten, die Anstöße geben, aber gleichzeitig erfordern, dass sich die Studierenden eigene Gedanken machen müssen, wie die angebotenen Lehrinhalte sinnvoll zu ergänzen sind. Im Online-Studium steht dafür der juris-Zugang zur Verfügung, es wird der Austausch mit den Kommilitonen unterstützt, es können – wie hier – Fragen gestellt werden und es werden Übungsmöglichkeiten mit und auch ohne Lösung angeboten (practice- bzw. exam-Funktion). Das Selbststudium ist aber nicht nur ein Begriff, sondern notwendiger Teil eines Studiums. Es besteht darin, aus den Lehrangeboten für sich selbst ein Ergebnis abzuleiten.
Wenn ein Studium so aussieht, dass von Anbieterseite aus ein Schluck-das-Gesamtpaket auf den Tisch gelegt wird, dann wird nach dem Studium vielleicht ein perfekter und gut bezahlter Sachbearbeiter aber kein studierter Mitarbeiter in der Berufswelt zur Verfügung stehen, der sich dadurch auszeichnet, nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch Problemlösungsqualtitäten vorzuhalten. Spätestens in der Abschlussarbeit soll dokumentiert werden, dass diese Qualifikation auf der wissenschaftlichen Grundlage der Fachlichkeit eines Studienganges auch erreicht wurde.
Wer also mit einem akademischen Anspruch in die Berufswelt tritt, von dem wird erwartet, nicht nur nachzubeten, was andere vorgeben, sondern mit diesem Abschluss soll dieser Akademiker für die Problemstellungen in der Arbeitswelt jederzeit Lösungen entwickeln können und anderen die Vorgaben erteilen, diese Lösung umzusetzen. Das ist der Unterschied zum Sachbearbeiter. Eigentlich sollen Sie ständig sprühen vor Ideen und sich begierig auf Probleme stürzen, die mit Hilfe Ihrer Ideen zu lösen sind.
Populäres Beispiel: Eine große Ansammlung von Akademikern gibt es am CERN. Dieser Arbeitsplatz ist ein magischer Anziehungspunkt für die besten Köpfe. Gleichzeitig ist das ein Ort für ein Projekt, welches zu 99% aus Problemen besteht. Die Akademiker (in diesem Fall die Physiker) strömen zum Cern, weil es dort einen so großen Futternapf an Problemen gibt, die sie lösen wollen. Glücklicherweise gibt es aber in fast allen Unternehmen einen Berg von Problemen. Das ist das Terrain auch unserer Absolventen.
Selbstverständlich funktioniert die normale Berufswelt nur, wenn es viele Sachbearbeiter und zusätzlich einige wenige Akademiker gibt. Außerdem wird auch von Akademikern erwartet, dass Sie teilweise einfach nur arbeiten. Dennoch liegt die Gehaltsstufe höher, weil sie sich in dem genannten Punkt von anderen Arbeitnehmern unterscheiden.
In 4 Jahren Studium geht es darum, Sie nicht nur in einer bestimmten Fachlichkeit zu trainieren. Es geht auch darum, die Geisteshaltung einer akademischen Welt zu vermitteln, damit Sie selbst mit ihrem akademischen Abschluss diese damit verbundenen Fähigkeiten aufweisen. Unsere Schulen trainieren nach meinen Erfahrungen leider genau das Gegenteil. Darum müssen alle Akademiker irgendwann einmal verstehen, das ein Studium keine Schule ist.
Deshalb habe ich das Online-Fernstudium so konzipiert, dass keine Nähe zu einem schulischen Angebot besteht, sondern eine Nähe zur universitären Ausbildung. Das bedeutet zwar Freiheit, aber gleichzeitig auch Eigenverantwortung.
Wer ein Skript möchte, der soll sich das Original – nämlich ein richtiges Lehrbuch – kaufen/ausleihen und lesen und selbst zusammenfassen, was wichtig ist. Wer eine Vorlesung hören möchte, der soll das zu jeder Tages- und Nachtzeit tun dürfen und selbst zusammenfassen, was ihm wichtig erscheint. Wer auf Glückspiel oder Intuition setzt, der kann unvorbereitet zu Prüfungen antreten und sein Glück versuchen (bei 30 Modulprüfungen braucht man dann aber schon eine Menge Glück). Jeder kann für sich entscheiden, wie sein Studium durchlaufen wird.
Wer keine eigene Leistung erbringen möchte, sondern nur umsetzen will, was andere vorgeben, der hat mit diesem Online-Studium die falsche Wahl getroffen. Dieses Konzept ist darauf ausgerichtet, auszubilden, was der Abschluss verspricht. Andere Konzepte sind anders gestaltet und finden auch Interessenten. Ich verantworte mit diesem Studienkonzept eine Ausbildung, die in besonders flexibler Weise einen akademischen Abschluss erlaubt. Ich stehe aber dafür ein, dass die Absolventen aber tatsächlich über die Qualifikationen verfügen, die mit diesem Abschluss verbunden sind. Das fachliche Wissen gehört auch dazu, bildet aber nicht die Gesamtheit aller Befähigungen. Diese Gesamtbefähigung erfordert es, Schwierigkeiten zu überwinden. Deshalb muss ein Studium Schwierigkeiten vorhalten. Diese Schwierigkeiten müssen darin bestehen, den fachlichen Stoff AUCHdurch eigene Denkleistung durchdringen zu müssen. Aus den Zutaten müssen sich die Studierenden ihre eigene geistige Mahlzeit kochen. Die Beschränkung auf das Auswendiglernen von festen Vorgaben lehne ich ab. Der Verzehr von geistigen Fertiggerichten ist in meinem Konzept nicht vorgesehen.
Ich danke für die Eingangsfrage. Sie gibt mir die Gelegenheit für diese Klarstellung.
gez. Prof. Dr. Tony Möller
PS: Ebenfalls zur Klarstellung: Die sog. Skripte im Downloadbereich sind keine Skripte im üblichen Wortsinne. Es sind Downloads der Visualisierungsanteile der Vorlesungen zur Offline-Darstellung für den eigenen Gebrauch. Welcher Nutzen daraus gezogen wird, bleibt jedem selbst überlassen.