Verständnisfrage zu § 166 Abs. 1 BGB

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» Di 12. Nov 2019, 02:35

Hallo zusammen,

nach § 166 Abs. 1 BGB kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung z.B. durch Willensmängel beeinflusst werden. Was hat das "in Betracht kommen" der Person des Vertreters an dieser Stelle und im Zusammenhang mit der Beeinflussung der Willenserklärung zu bedeuten? Und wie wird dem Vertretenen hierdurch ganz konkret das Wissen des Vertreters zugerechnet?

Verständlich für mich wäre folgender Wortlaut: "Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, wird das Wissen darüber im Vertretungsfall der Person des Vertretenen zugerechnet."

Nun wirkt gemäß § 164 Abs. 1 BGB eine durch einen Vertreter abgegebene Willenserklärung unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Soweit auch kein Verständnisproblem...

Folgender Sachverhalt aus dem Vorlesungsmaterial (Wirtschaftsprivatrecht 1):

Bei arglistiger Täuschung durch einen Dritten, insbesondere durch einen Vertreter, sei die arglistige Täuschung dem Vertragspartner, der gegenüber dem anderen Teil lediglich durch den Vertreter in Erscheinung tritt, als eigene zurechenbar.

Dies folge aus § 166 Abs. 1 BGB. Wie genau folgt es daraus? Folgt daraus nicht, dass ihm - und nur ihm(?) - nach § 123 Abs. 1 BGB aufgrund der Wissenszurechnung das Recht auf Anfechtung zusteht? Was ist aber mit dem anderen Teil, der durch arglistige Täuschung zu einem Vertragsabschluss gekommen ist? Kann er überhaupt nach § 123 Abs. 2 BGB die Willenserklärung anfechten, wenn der Vertragspartner die Täuschung durch seinen Vertreter nicht kannte und auch nicht kennen konnte?

An welcher Stelle scheitert mein Verständnis?

Über hilfreiche Antworten freue ich mich.

Liebe Grüße

Antarmis
Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum.
(Hieronymus; Seneca, Epistulae morales VI, 57, 12; Cicero, Orationes Philippicae 12, 2)
Antarmis
 
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» Di 12. Nov 2019, 07:46

166 I BGB besagt vereinfacht gesagt, dass es z. B. bei der Anfechtung darauf ankommt, dass sich der Vertreter bei Abgabe seiner Willenserklärung geirrt hat. Der Vertretene könnte also nur Anfechten, wenn der Vertreter einem Irrtum unterlag.
MarkusAB
 
Beiträge: 75

» Di 12. Nov 2019, 13:33

Vielen Dank für die schnelle Antwort.

Dann versuche ich es einmal in eigene Worte zu fassen, was ich darunter nun verstanden habe.

§ 166 Abs. 1 BGB besagt seinem Wortlaut nach unwiderleglich, es komme die Person des Vertreters in Betracht, wenn und soweit eine (von ihm) abgegebene Willenserklärung (im Rechtsgeschäft) gegenüber dem Vertragspartner beeinflusst wird. Sie kann beispielsweise durch Willensmängel beeinflusst werden.

Jetzt muss der Vertretene i.S.v. § 164 Abs. 1 für den Vertreter einstehen bzw. die durch ihn abgegebene Wilenserklärung in seiner Wirkung für und gegen ihn selbst hinnehmen. Wenn sich also der Vertreter bei der Abgabe einer Willenserklärung aber inhaltlich irrt, dann könnte derjenige, der durch ihn Vertreten wird, sich nicht zur Wehr setzen, weil er in jedem Fall eine solche fehlerhafte Willenserklärung für und gegen sich gelten lassen müsste. Diese wäre in dem Sinne "fehlerhaft", da sie sich außerhalb der von ihm erteilten Vertretungsmacht befindet.

Die einzige Möglichkeit für den Vertretenen sich gegen eine solche Erklärung zur Wehr zu setzen, besteht also darin, anhand der normativen Bestimmung des § 166 Abs. 1 BGB i.V.m. § 119 Abs. 1 BGB die Erklärung aufgrund eines Irrtums anzufechten. Und weil nur derjenige anfechtungsberechtigt ist, der bei Abgabe der Erklärung über den Inhalt im Irrtum war, wird ihm im Vertretungsfall der Irrtum des Vertreters auch zugerechnet.

Zwar muss ich mir die Umstände noch verinnerlichen, doch ich glaube, dass ich in Grundzügen jetzt den Zweck der Norm des § 166 Abs. 1 BGB erahne.

Liebe Grüße

Antarmis
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Antarmis
 
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» Di 12. Nov 2019, 16:28

Antarmis hat geschrieben:Die einzige Möglichkeit für den Vertretenen sich gegen eine solche Erklärung zur Wehr zu setzen, besteht also darin, anhand der normativen Bestimmung des § 166 Abs. 1 BGB i.V.m. § 119 Abs. 1 BGB die Erklärung aufgrund eines Irrtums anzufechten. Und weil nur derjenige anfechtungsberechtigt ist, der bei Abgabe der Erklärung über den Inhalt im Irrtum war, wird ihm im Vertretungsfall der Irrtum des Vertreters auch zugerechnet.


Das trifft es im Wesentlichen.
MarkusAB
 
Beiträge: 75

» Di 12. Nov 2019, 17:59

Perfekt und danke nochmals!

Jetzt kann ich mich endlich mit dem nächsten Themenkomplex beschäftigen.

Liebe Grüße

Antarmis
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Antarmis
 
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» Do 14. Nov 2019, 14:00

Ergänzung:

Bei entsprechender Vertretungsmacht und bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Vertreter selbst zur Anfechtung berechtigt.
heppenbach
 
Beiträge: 175

» Do 14. Nov 2019, 23:30

Hallo und danke für die Ergänzung!

heppenbach hat geschrieben:Ergänzung:

Bei entsprechender Vertretungsmacht und bei Vorliegen der Voraussetzungen ist der Vertreter selbst zur Anfechtung berechtigt.


Wird ihm die entsprechende Vertretungsmacht über eine Bevollmächtigung nach § 167 Abs. 1 BGB erklärt? Und welche Voraussetzungen müssen im Konkreten erfüllt sein, damit der Vertreter selbst zur Anfechtung berechtigt ist?

Zwar könnte ihm in einer Erklärung durchaus ein Anfechtungsrecht dem Wortlaut nach zugesprochen werden, doch geht nicht aus einer solchen Erklärung deshalb schon eine Übersicherung des Vollmachtgebers aus? Könnte er sich nicht bei beliebiger Rechtsübertragung entgegen von § 164 Abs. 1 BGB vor jeder denkbaren Verantwortung bewahren bzw. entziehen? Kann eine solche Erklärung überhaupt rechtswirksam sein im Rechtsgeschäft?

Viele Grüße

Antarmis
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Antarmis
 
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» Sa 16. Nov 2019, 15:07

Antarmis hat geschrieben:Wird ihm die entsprechende Vertretungsmacht über eine Bevollmächtigung nach § 167 Abs. 1 BGB erklärt? Und welche Voraussetzungen müssen im Konkreten erfüllt sein, damit der Vertreter selbst zur Anfechtung berechtigt ist?


Entscheidende Voraussetzung ist, daß die nach § 167 Abs.1 BGB erteilte Vertretungsmacht ein solches Anfechtungsrecht umfasst.
Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht (einseitiges Rechtsgeschäft). Der Vertreter kann das Anfechtungsrecht für den Vertretenen nur dann wirksam ausüben, wenn seine Vertretungsmacht entsprechend umfassend ist (§ 180 S.1 BGB).
Eine durch Vollmacht (§ 166 Abs.2 S.1 BGB) erteilte rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht kann so umfassend ausgestaltet sein (Bsp.: Generalvollmacht).
heppenbach
 
Beiträge: 175

» Sa 16. Nov 2019, 19:25

Danke für die nachvollziehbare Ausführung.

:)
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Antarmis
 
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