» Fr 19. Sep 2014, 05:18
Das Verständnisproblem hängt mit der Eigenschaft sog. negativer Tatbestandsmerkmale zusammen. Ausführlich wird das in dem GdR-Kurs (Grundlagen des Rechts) erklärt, der auch für alle Master-Studierende kostenlos zur Verfügung steht.
In Kurzfassung geht es um folgendes:
Bei einem sog. positiven Merkmal verhält sich die Zustimmung zum Text der Voraussetzung immer gleich zur logischen Wertung des Elementes. Die logische Wertung ist die Eigenschaft einer Voraussetzung, die auf das jeweilige Obermerkmal wirkt. Wenn etwa ein Obermerkmal nur eine Untervoraussetzung hat, dann wirkt die Wertung des Untermerkmals auf das Obermerkmal. Wenn es - wie üblich - mehrere Untermerkmale gibt, dann kommen die logischen Regeln ins Spiel, die wir hier aber nicht betrachten wollen.
Bei einem sog. negativen Tatbestandsmerkmal findet eine Invertierung der Wertung statt. Der Gesetzgeber benutzt diese Technik, um die Darlegungs- und Beweislast zu regeln, ohne sie extra erwähnen zu müssen. Wir können uns also beklagen, dass der Gesetzgeber negative Tatbestandsmerkmale verwendet, aber es nützt nichts, wir müssen damit umgehen können.
Ein Beispiel für ein negatives Tatbestandsmerkmal ist das Mitverschulden in vielen Vorschriften, die auf diese Voraussetzung abstellten (z.B. § 823 I BGB). Der Anspruch setzt voraus, dass der Geschädigte KEIN Mitverschulden trägt. Wird das Mitverschulden also verneint (rot), dann ist diese Voraussetzung erfüllt und eine Bejahung (grün) wird in Richtung Ausgangsfrage "hochgereicht": Der Anspruch kann sich grün färben, wenn auch die restlichen Voraussetzungen auf "grün" stehen.
Wenn aber nun das Mitverschulden bejaht wird (sichtbar am grünen Text "Mitverschulden" in der Struktur), dann ist die Voraussetzung, dass KEIN Mitverschulden vorliegen darf eben nicht erfüllt. In diesem Fall wird eine Verneinung (rot) nach oben gereicht und der Anspruch ist zu verneinen (egal wie die übrigen Voraussetzungen sich verhalten).
Damit ergibt sich für negative Tatbestandsmerkmale die verwirrende Situation, dass sich die Färbung des Textes und damit die Wertung über den Text von der Färbung zur logischen Folge für die Obermerkmale voneinander unterscheiden. Damit diese Unterscheidung deutlich wird, sind negative Tatbestandsmerkmale durch einen horizontalen Doppelstrich gekennzeichnet. Bei Ihnen tritt immer eine Invertierung der Färbung zwischen Textfärbung und Logikfärbung des Kästchens auf (Ein Schlaumeier könnte jetzt auf die Idee kommen, die Umkehrung dadurch zu vermeiden, die negativen Tatbestandsmerkmale durch einen Trick aufzulösen: Anstelle der vom Gesetzgeber verwendeten Begriffs für das Tatbestandsmerkmal könnte ja einfach ein Begriff verwendet werden, der eine logische Umkehrung enthält. Z.B. könnte der Begriff des Merkmals doch "Kein Mitverschulden" heißen. Dann wäre das Merkmal nur sprachlich negativ aber logisch positiv und wir hätten den ganzen Ärger nicht. Das funktioniert aber nicht, weil der Gesetzgeber an die von ihm verwendeten Begriffe oft Definitionen anhängt, die auf den ursprünglichen und nicht auf den umgekehrten Ausdruck abstellen. Und das macht der Gesetzgeber, weil er so die Darlegungs- und Beweislastverteilung technisch umsetzt. Also müssen wir stets die Originalausdrücke verwenden und die logische Negierung tatsächlich als solche darstellen und dürfen sie nicht in eine begriffliche Negierung umwandeln. Das merkt im der üblichen Jurawelt fast niemand, weil ohnehin alles in Prosa übersetzt wird. Allerdings fällt einem das Problem dann doch auf die Füsse, weil mit dem Wegschauen der Unterscheidung zwischen logischer und begrifflicher Negierung die Unterscheidung nicht aus der Welt ist. Die Folge wäre, dass wir irgendwann gar nicht mehr verstehen, warum eine Lösung so und nicht anders aussieht. Wir kommen also um die Wahrheit nicht herum und sie besteht darin, wie ich es in Kurzfassung zu beschreiben versucht habe.)
Wenn jetzt die Wertung nicht direkt vorgenommen wird, sondern aus Argumenten abgeleitet wird, dann tritt der Effekt genauso ein. Um das deutlich zu machen, färbt sich deshalb das kleine Dreieck der vertikalen Linie der Argumente direkt unterhalb der Tatbestandsvoraussetzung auch in der Farbe der zusammengerechneten Argumente, während das Quadrat der negativen Voraussetzung die Farbe annimmt, die eine Invertierung darstellt.
Wenn man das einmal verstanden hat, dann verhält sich T@keLaw in seinen Strukturen genau so, wie es soll: Extrem transparent und immer korrekt.
Ich hoffe, das hilft weiter. Noch mehr Informationen gibt es in der GdR-Vorlesung. Dort würde ich die Kapitel zur Negation empfehlen. Das ist immer ein Problem beim Einstieg in die Rechtswissenschaft. Meistens wird das Problem nicht wahrgenommen und die Quittung erfolgt später.
Weiter viel Erfolg!
gez. Prof. Dr. iur. Tony Möller
- Studiengangsleiter -