Erster Versuch eines Gutachtens

Treffpunkt der Gast-Studenten

» Mi 2. Mär 2016, 22:21

Guten Abend alle zusammen. Ich habe heute Abend versuch mich an mein erstes jur. Gutachten zu machen und bin überrascht wie schwierig es doch tatsächlich ist in dem Gewirr aus Argumenten und Fragen den Überblick zu behalten. Daher würde ich mich über Kritik und Anregungen zu einem ERSTEN Gutachten freuen.

Rechtsstaat
Kindsmörder K ist gefasst, aber noch nicht überführt. Als K bei der Polizei zum Verhör sitzt, ist noch unklar, ob das Opfer schon zu Tode gekommen ist oder noch lebt. Um Leben zu retten, droht Polizist P dem K schmerzhafte Schläge an, um den Aufenthaltsort des Opfers zu erfahren. Wie sich herausstellt, ist das Opfer zu diesem Zeitpunkt schon tot.
K wird als Mörder verurteilt und verlangt Schadensersatz für die die angedrohte Gewalt. Als Begründung wird angeführt, dass Gefangene keiner Gewalt ausgesetzt werden dürfen. Auch keiner psychischen Gewalt, wie sie in einer Androhung von Gewalt zum Ausdruck komme.
Besteht ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage von § 823 I BGB?

K könnte gegnüber P einen Anspruch auf Schadensersatz nach §823 I BGB haben.

Hierzu müsste ein Rechtsgut verletzt worden sein.
In Betracht kommt Gesundheit. Durch die psychische Einwirkung des P durch Androhung von Gewalt, hat K einen psychischen Schaden erlitten. Das Rechtsgut Gesundheit ist somit betroffen, wodurch Rechtsgutverletzung zu bejahen ist. Des Weiteren muss ein Verletzungserfolg vorliegen. Fraglich ist, ob durch die Androhung von Gewalt bei K ein psychischer Schaden entstanden ist. Hierfür spricht das die Drohung durch P rein, theoretisch ein psychische Störung bei K hervorrufen könnte. Jedoch ist diese nicht unmittelbar, nachweisbar. Mithin ist Verletzungserfolg zu bejahen.
Mit der verbalen Androhung von Gewalt durch P, liegt eine Handlung vor.
Des Weiteren muss haftungsbegründende Kausaliät gegeben sein. Durch die unmittelbare Aussprache der Androhung von Gewalt ggü. K ist Äquivalenz zu bejahen. Durch die zurechenbarkeit der verbalen Androhung von Gewalt zu einem psychischem Schaden, liegt Adäquanz vor.
Mithin ist haftungsbegründende Kausalität gegeben.
Weiter muss Rechtswidrigkeit vorliegen. In Betracht kommen andere Rechtfertigungsgründe.
Dafür spricht das im Falle das das Kind noch nicht tot gewesen wäre, die Androhung von Gewalt und die somit erlangte Information über den Aufenthaltsort des Kindes, dem Kind das Leben hätte retten können. Dafür spricht weiter dass K, die Information über den Aufenthaltsort erst durch die Androhung von Gewalt erfuhr. Dagegen ist jedoch zu bedenken das die Androhung von Gewalt ggü. Verdächtigen vom Grundsatz her verboten ist. Aus alledem folgt, dass andere Rechtfertigungsgründe vorliegen. Rechtswidrigkeit ist somit nicht gegeben.
Des Weiteren muss Verschulden vorliegen. Hierzu muss Vorsatz gegeben sein. Mit der Ausführung der verbalen Drohung und dem Wissen das diese zu einem psychischen Schaden führen könnte, liegt Wissen vor. Fraglich ist ob P wollte das der K einen Schaden davonträgt. Dagegen spricht das Ps primäres Ziel war das Leben des vermissten Kindes zu retten. Dafür spricht, dass sich P durch das Schweigen des K provoziert gefühlt hat und ihm deshalb einen Schaden zufügen wollte. Dagegen ist jedoch zu bedenken, dass P als Polizist für solche Sitautionen geschult ist und seine eigenen Gefühle zurückzuhalten wissen sollte. Aus alledem ergibt sich das P den Schaden nicht wollte. Somit ist Vorsatz nicht gegeben. Fahrlässigkeit ist zu verneinen. Verschulden liegt daher nicht vor.
Fraglich ist ob ein Schaden entstanden ist. Dafür spricht die Aussage des K. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein psychischer Schaden nicht nachgewiesen ist. Es gilt zu bedenken, dass ein Mensch der wie K ein Kind ermordet hat, durch die reine Androhung von Gewalt keinen bleibenden psychischen Schaden erleiden kann. Jedoch ist die Möglichkeit durch reine Androhung von Gewalt einen Schaden zu erleiden gegeben. Aus alledem ergibt sich das ein Schaden vorliegt.
Fraglich ist ob Mitverschulden vorliegt. Durch das Schweigen des K zum Aufenthaltsort des sich in Gefahr befindlichen Kindes, provoziert dieser nahe zu die Maßnahme des P. Dagegen spricht, das jeder einer Tat Verdächtigte von seinem Recht zu Schweigen gebrauch machen kann. Mithin ist Mitverschulden nicht gegeben.

K hat keinen Rechtsanspruch auf Schadensersatz durch P nach § 823 I BGB.



Ich danke euch recht herzlich. Viele Grüße Finn
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» Do 3. Mär 2016, 10:09

Hallo Finn,

zuerst einmal Willkommen und Glückwunsch dazu, ein erstes Gutachten "geschafft" zu haben. Ich persönlich hätte Dir als ersten "Fall" einen gewünscht, der nicht in diesem Umfang auch strafrechtliche Aspekte aufweist, wie der, durch den Du Dich gearbeitet hast. Konstruktiv kritisch anmerken möchte ich folgendes:

1. Gliederung
Es ist nicht vorgeschrieben und daher wohl auch Geschmackssache, ich persönlich gliedere Gutachten. Mir hilft es den Überblick zu wahren und auch als Leser ist es einfacher zu erkennen, wann ein Prüfungspunkt beendet ist und der nächste beginnt. Da das Gutachten nicht zu lang ist, kann man den Ausführungen jedoch folgen.

2. Prüfung der TBM
Die einzelnen TBM sollten geprüft werden in der Form: TBM - Definition - Subsumtion - Ergebnis. Definitionen fehlen weitestgehend in Deinem Gutachten. Hierauf würde ich nicht verzichten.

3. Schlüssigkeit
Jeder von Dir geprüfte Punkt muss zu einem schlüssigen Ergebnis führen. Ich meine damit nicht, dass zwangsläufig jeder zum gleichen Ergebnis kommen muss. Aber Dir muss es mit Deinem Gutachten gelingen, den Leser zu Deiner Lösung hinzuführen. Hier würde ich empfehlen, Deine Ausführungen, insbesondere die Schlussfolgerngen nochmal kritisch auf Plausibilität zu überprüfen. Wenn Du z. B. zu der Auffassung kommst, dass die psychische Störung bei K nicht nachgewiesen ist, ist fraglich, worauf sich Deine Argumentation hinsichtlich der Rechtsgutverletzung Gesundheit bezieht. Und obwohl die Störung nicht nachgewiesen ist, bejahst Du den Verletzungserfolg (bzw. die Verletzungshandlung, von der ich annehme, dass Du die an dieser Stelle geprüft hast). Das liegt für mich nicht auf der Hand.

Insgesamt würde ich sagen: Der Anfang ist getan und hat Potential. Dieses zu erschließen wird mit einiger Übung gelingen. Fragen kannst Du jederzeit stellen. Ich weiß nicht, worauf Du Zugriff hast. Wenn Du auf die practice-Fälle bei GdR zugreifen kannst, kannst Du an denen sehr gut üben.

Weiterhin viel Erfolg
und viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 10:30

Hallo Kathleen,

vielen Dank für deine Antwort und deine Kritik. Meinst du mit der Gliederung eine Art Übeschriften System? Der Fall kommt tatsächlich aus der Practice Abteilung des GDR. Fall Nummer 4. Hast du ein System neben der Säcketheorie- wie du nicht den Faden verlierst bei problematischen Wertungen?Bist du selbst noch im Studium oder bereits Alumni?

Liebe Grüße aus Hamburg.


Finn
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» Do 3. Mär 2016, 10:50

Noch ein kurzer Nachbrenner:

Könntest du mir ein ganz kurzes Beispiel geben bzgl. der Prüfung von TBM? Da scheine ich etwas noch nicht ganz klar verstanden zu haben, vlt kann ich es anhand eines Beispiels besser erkennen?

Vielen lieben Dank
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» Do 3. Mär 2016, 10:52

Hallo Finn,

ich hätte nicht gedacht, dass der Fall daher kam. Nun gut. Ja, ich meine Überschriften, also z. B.

I. Anspruch entstanden?
1. Rechtsgutverletzung
2. Verletzungshandlung
3. Haftungsbegründende Kausalität
... usw.

Die Säcketheorie kann in eine Gliederung "übersetzt" werden, indem jeder Sack für eine Gliederungsebene steht. Dies ist damit das System, welches ich verwende.

Ich bin selbst noch im Studium.

Viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 11:23

Hallo Finn,

hier also ein Beispiel:

Betroffen sein könnte das Rechtsgut Gesundheit (=nennen des TBM). Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines nachteilig von den normalen körperlichen Funktionen abweichenden Zustandes körperlicher oder seelischer Art (=Definition*). Vorliegend ….. (=Subsumtion: hier entnimmst Du die Hinweise aus dem Sachverhalt, die dazu geführt haben, dass Du dieses Rechtsgut ausgewählt hast). Das Rechtsgut Gesundheit ist …… (=Ergebnis, also Deine Schlussfolgerung).

(* ist eine mögliche Definition und nicht von mir, es gibt auch andere)

Und nun fällt mir noch ein grundsätzlicher Punkt ein, den ich hätte oben schon erwähnen wollen. Nichts in den Sachverhalt hineininterpretieren, was nicht da steht. Also keine Vermutungen anstellen. Konkret meine ich hier, dass Du eine Gesundheitsschädigung vermutest, tatsächlich liefert a.m. S. der Sachverhalt darauf keinen Hinweis, oder?

Viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 11:32

Vielen lieben Dank Kathleen.

Genau das war mein Problem. Gehe ich davon aus dass eine Schädigung vorliegt bei K? Realitätsnah gesprochen, kann dies ja jeder behaupten- doch fehlt der Nachweis. Muss ich also davon ausgehen dass tatsächlich eine Schädigung vorliegt?

Danke für deine liebe Hilfe.

Finn
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» Do 3. Mär 2016, 11:48

Hallo Finn,

schau noch mal in den Sachverhalt. Wird denn eine Schädigung behauptet? Ich lese das nicht. Wenn der SV nicht ausführt, dass eine Schädigung vorliegt, dann sollte keine vermutet und auch nicht unterstellt werden. In diesem Fall muss man schauen, ob es nicht andere verwertbare Hinweise gibt. Ein solcher könnte die im SV dargestellte Begründung sein, dass "Gefangene keiner Gewalt ausgesetzt werden dürfen". Und dann reden wir nicht über eine Gesundheitsbeeinträchtigung sondern über den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Deshalb fand ich den Fall auch schwierig als "Einsteigermodell".

Viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 13:28

Hallo ,


vielleicht denke ich wie gewöhnlich zu viel. Aber der K wird ja wohl SE aufgrund eines Schadens vordern- somit ist doch dem Sachverhalt zu entnehmen dass ein Schaden entstanden ist oder? Ob dieser denn tatsächlich vorliegt ist eine andere Frage.

Verrenne ich mich gerade total ?


Lg
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» Do 3. Mär 2016, 14:05

Hallo Finn,

warum nicht, ist auch in so einem Fall nicht ausgeschlossen (falls mein Eintrag zu Deiner Überlegung führt). Neben materiellen und konkret bezifferbaren ersatzfähigen Schäden gibt es auch immaterielle. Die werden dann anders bestimmt, sind aber dennoch ersatzfähig.

Der Sachverhalt liefert Dir zunächst lediglich Informationen darüber, wer etwas von wem will und was zu dieser Forderung geführt hat. Das von Dir zu erstellende Gutachten gibt dann unter Verwendung, Wertung und Wichtung dieser Informationen die Antwort darauf, ob diese Forderung gerechtfertigt ist (oder eben nicht). Damit ein Anspruch bestätigt werden kann, müssen alle Voraussetzungen erfüllt sein. Und nur wenn dies so ist, wird das Ergebnis lauten: K hat gegen P einen Anspruch auf Zahlung eines SE aus § 823 BGB ... Also denkst Du weder falsch noch zuviel, es darf nur dem Sachverhalt nicht zuviel "abverlangt" werden.

Viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 14:15

Ich werde noch nicht so richtig schlau. :-(
Meiner Ansicht nach ist ja nicht zwingend gegeben das ein Schaden entstanden ist. Das ist ja erst einmal die Behauptung des K. Bei der Prüfung des TBM Schaden ist ja dann zu entscheiden ob dieser vorliegt. Um dies zu tun ist aber mehr Information notwendig. Also ist der Punkt Schaden ja nicht einwandfrei zu bejahen oder zu verneinen - ein "kann sein" gibt es ja wohl nicht.

Sorry das ich dich so traktiere damit ;-)

LG
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» Do 3. Mär 2016, 17:46

Ich werfe mal einen Link in den Raum. Ähnlicher Sachverhalt und hier wurde der Art. 1 GG als Rechtsgut benannt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Daschner- ... C3.BCndung

Viel Spaß
contralegem
 
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» Do 3. Mär 2016, 18:33

ja, Art. 1 und 2 GG i. V. m. § 823 I BGB würde ich hier auch sehen.

Es ist schon richtig, dass der Sachverhalt eben keinen auf der Hand liegenden Vermögensschaden anbietet. Und wenn Du diesen deshalb verneinst, machst Du auch nichts falsch. Aber neben diesen gibt es, wie ich es oben schon angedeutet habe, auch immaterielle Schäden, z. B. auf der Basis der o. g. Anspruchsgrundlage. Hier hat sich die Vermögenslage des Betroffenen nicht verändert. Hier lohnt es sich wirklich, zum Thema mal nachzulesen.

Viele Grüße
Kathleen
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» Do 3. Mär 2016, 19:02

@ Kathleen: Ich stimme dir zu;-)


@Finch2015: Da hast du dir ja einen ganz schön kniffeligen Fall ausgesucht ;-)

So werfe noch einen letzten Link rein ;-) Unter den Anspruchsvoraussetzungen findet man vielleicht etwas.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schmerzensgeld

Viel Spaß noch ;-)
contralegem
 
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» Do 3. Mär 2016, 19:08

Ich befürchte auch das vielleicht für den Anfang etwas hochgegriffen war. Aber nur weil jemand sagt bei ihm liegt ein immaterieller Schäden vor, gibt mir das ja keine Grundlage ob dem auch so ist.

Rechtsfolge ist der Schadensersatz Anspruch? TBM ist die Rechtsgutsverletzung? Und Tatbestandsvorraussetzungen sind das ein Rechtsgut betroffen ist und das dieses auch verletzt wurde? Habe ich wenigstens das richtig verstanden ?


Danke euch für den Support.

Lg
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